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„Angriff ist die beste Verteidigung!“ – Stimmt das?

Eva Figge • Sept. 08, 2020

Ja!

 

Naja, teilweise.

 

Nämlich nur, wenn es um den eigenen Selbstwert geht. Kurzfristig wird der geschützt, langfristig geschwächt.

 

Der Selbstwert, den wir uns zumessen, ist ein bei manchen ein zartes Pflänzchen, bei anderen stark wie eine Eiche. Die braucht keinen Schutz, aber das Pflänzchen sehr wohl: Wenn das Selbstwertgefühl nicht satt und rund ist, verwenden wir viel Energie darauf, dieses zu schützen. Je kleiner und zarter, desto höher müssen die Mauern sein, um es zu verteidigen. 


Und nun kommt ein Sturm daher in Form von Kritik. 

Autsch, das Pflänzchen ist in akuter Gefahr! Also blase ich Alarm und richte meine ganze Energie darauf, den anderen mit giftigen Pfeilen von meinen hohen Mauern aus zu treffen, um sie*ihn vom Angriff auf mich abzulenken. Meist gelingt das sogar. Aber es zieht erhebliche Kollateralschäden nach sich.

Wenn ich bei Kritik auf Gegenangriff schalte, bleibt etwas Entscheidendes im Hintergrund: das Konfliktthema selbst.
Stattdessen wird die Beziehung zwischen den beiden Angreifer*innen stark strapaziert: gegenseitige Verletzungen, Misstrauen, Verteufelungen und noch mehr Mauern. Wer bindet sich freiwillig und dauerhaft an einen Menschen, der um sich schlägt, schießt oder beißt? Das ist anstrengend und äußerst ungut fürs eigene Lebensgefühl.

Wenn zwei Angreifer aufeinandertreffen, kann es nur Verlierer geben – oder maximal abwechselnde Sieger und Verlierer.
Wenn ein Angreifer auf einen Vermeider von Konflikten trifft, zieht sich der in der Regel recht schnell aus der Beziehung zurück. Wir haben also beide Male das gleiche Ergebnis: Die Beziehung nimmt Schaden, löst sich auf. Der Konflikt, worum es in Wirklichkeit geht, bleibt ungelöst.
Und das wiederum hinterlässt Spuren: Unser Selbstbild wird erschüttert: Irgendwie bekommt unser Ego ja trotzdem mit, dass der Konflikt nicht gelöst ist, die Beziehungen stressig sind oder regelmäßig ganz kaputtgehen. So wächst unser zartes Pflänzchen Selbstwert niemals.

Was also tun?

Der gute Umgang mit Angreifern
Es klingt zwar widersinnig, aber aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass gerade Angreifer eine gehörige Portion Sicherheit brauchen! Der erste Schritt hierzu ist zu verstehen, dass sie gerade ihre liebe Not mit sich selbst haben und der Angriff nichts anderes als puren Selbstschutz darstellt. Vorsicht ist also geboten in der Wortwahl – jede Kritik sollte in viel Wertschätzung verpackt werden!

Der Tipp für notorische Angreifer
Es gibt viele verschiedene Arten, mit Kritik umzugehen – vom verletzten Rückzug bis zur Brüllattacke, aber auch ein: „Danke für das Feedback, ist mir noch gar nicht aufgefallen, das ich das mache/gemacht habe!“ Wenn sich das (noch) nicht leicht genug über die Lippen bringen lässt, gelingt vielleicht in der nächsten kritischen (im doppelten Sinne) Situation ein Durchatmen und eine Nachfrage: „Wie meinst du das?“ Das Gegenüber spürt Offenheit und erklärt, was ihm*ihr aus welchem Grund nicht behagt. Und dann kann man abwägen, wie eine solche Situation das nächste Mal verlaufen könnte – so dass es beiden damit gutgeht.


Der Mehrwert
Beide sehen sich in ihren Bedürfnissen, es herrscht eine Atmosphäre von gegenseitigem Verstehen-Wollen. Die Lösung wird „ausgehandelt“, was man klassisch unter Beziehungsarbeit versteht. Sie führt zu Wohlbefinden auf beiden Seiten. Die Bindung zueinander und das Vertrauen in die Beziehung wachsen – und damit auch das Selbstwertgefühl, denn jede*r kann so sein, wie sie*er es braucht.

Schön, oder?

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